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Gaza-Flotille
"Ende Juli brechen wir die Blockade"

Um Palästinenser im Gazastreifen zu unterstützen, haben sich mehrere Schiffe unter schwedischer Flagge auf den Weg in Richtung Gaza gemacht. An Bord befindet sich auch eine Deutsche, die bei einer ähnlichen Hilfsaktion miterlebte, wie israelische Spezialkräfte neun türkische Aktivisten erschossen.

29.05.2018
    Ein Schiff mit Frauen wurde von der israelischen Marine gestoppt.
    Weil Israel den Gazastreifen abgeriegelt hat, kommt es immer wieder zu Protestaktionen und Versuchen, die Blockade zu durchbrechen (dpa/picture-alliance/Mohammed Saber)
    Mit Spruchbändern und Fahnen geschmückt liegt die "Al-Awda" am Kai. "Heimkehr" heißt das Schiff in deutscher Übersetzung.
    Auf der Brücke zeigt Kapitän Herman Reksten auf den Seekarten die nächsten Stationen auf diesem Weg der Heimkehr. Amsterdam, Brighton, Cagliari, Palermo, Gaza. "Ende Juli brechen wir die Blockade", sagt der 28-jährige Seemann markig. Gemeint ist die Seeblockade, die Israel über die Küste des palästinensischen Gazastreifens verhängt hat.
    Freiwillige aus aller Welt
    Dass der"Al-Awda" der Durchbruch gelingen könnte, ist allerdings mehr als unwahrscheinlich. In den letzten Jahren hat die israelische Marine die herannahenden Schiffe allesamt abgefangen. Dennoch melden sich für die Mission "Ship to Gaza" immer wieder Freiwillige aus aller Welt. Zurzeit sind Aktivisten aus Schweden, Norwegen, den USA und weiteren Ländern an Bord. Die Motive für ihren Protest bringt der schwedische Mit-Initiator Lars Drake mit drastischen Worten auf den Punkt.
    "Es geht um die ethnische Säuberung von Palästina im Jahr 1948, die alltägliche Erniedrigung der palästinensischen Bevölkerung, die Besatzung der palästinensischen Gebiete 1967, das Land und das Wasser wird ihnen geraubt - und so geht das seit 70 Jahren."
    Ehemalige Parlamentarierin mit an Bord
    In Hannover, in einem Café am Hauptbahnhof, treffen wir Annette Groth - noch auf der Anreise nach Wilhelmshaven. Sie will für die Überfahrt nach Amsterdam zur Crew der "Al-Awda" stoßen, als einzige Deutsche an Bord.
    Eingeschlossen unter Deck erlebte sie 2010 auf einem anderen Schiff den Zwischenfall mit, bei dem israelische Spezialkräfte neun türkische Aktivisten erschossen. Damals war sie noch menschenrechtspolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag. Heute ist sie Publizistin - sie formuliert gern mal drastisch. Aus ihrer Sicht reagiert der israelische Staat auf die jüngsten Proteste an der Grenze zum Gazastreifen mit gezielten Tötungen.
    "Jetzt haben wir 124 Tote seit dem 30. März und weit über 13.000 Verletzte. Und man muss ja sagen, es sind Scharfschützen. Das ist ein wahnsinniges Verbrechen. Ehrlich gesagt, ich bin da wütend, ich bin traurig!"
    Indirekte Unterstützung für Hamas?
    Der Widerstand der Palästinenser hingegen sei legitim, sagt die 64-Jährige und zeigt Verständnis für die Motive vor allem der jungen Leute im Gazastreifen.
    "Die sagen, wir haben mit Hamas überhaupt nichts zu tun. Und die Verzweiflung und die Armut und die Arbeitslosigkeit ist so immens, dass sie sagen, wir sterben jetzt lieber, als in dieser Situation noch weiter zu vegetieren!"
    Die linke Parteispitze hat sich mittlerweile von den Ansichten der Israel-Kritiker um Annette Groth distanziert. Ihnen werden einseitige Schuldzuweisung und fehlende Distanz zu islamistischen Gruppen mit offen antisemitischen Positionen vorgeworfen. Groth selbst sieht sich aus dem Amt als Bundestagsabgeordnete und in die Ecke gedrängt, pauschal als Antisemitin geächtet, um jegliche Diskussion um vermeintliche Sachargumente im Keim zu ersticken.
    Umstrittener Israel-Boykott
    Wie so viele der selbst ernannten Friedensaktivisten der Gaza-Flottille bekennt sich auch Groth zur so genannten BDS-Kampagne, die auf einen kulturellen, wirtschaftlichen und akademischen Boykott Israels wegen der Palästina-Politik des Landes hinausläuft. Von der Linkspartei wird diese Kampagne heute offiziell als antisemitisch eingestuft.
    Sven-Christian Kindler, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Vize-Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, hält die BDS-Kampagne schlicht für widerlich.
    "BDS ist eine Bewegung, der es nicht um konkrete Kritik an der israelischen Regierungs-Politik geht, am Besatzungsregime oder auch an den jüngsten Vorfällen in Gaza; sondern BDS geht es darum, Israel als Ganzes, seinen Staat, seine Gesellschaft als Ganzes zu diffamieren, zu delegitimieren - und das ist im Kern einfach abzulehnen, weil es immer wieder antisemitische Attacken aus der BDS-Bewegung heraus gibt."
    "Allgemeine Judenfeindlichkeit"
    Damit mache sich die Initiative zum Handlanger von Hardlinern auf allen Seiten, sagt Kindler - und der Grünen-Politiker prophezeit: "Die Gaza-Flottille wird am Ende die islamistische Herrschaft der Hamas legitimieren und von ihr auch instrumentalisiert werden."
    Zurück in Wilhelmshaven: Sie trommeln und tanzen jetzt. Am Kai entspinnt sich eine lebhafte Diskussion mit einer Frau, die gerade vorbeiradelt.
    "Für mich ist die Gewalt auf beiden Seiten schlimm - und ich kenne auch keine Lösung! Ich bin absolut entsetzt über die Zustände im Gaza-Streifen. Und trotzdem habe ich kein Verständnis, wenn es in Richtung Hamas geht und dafür, dass der Konflikt inzwischen ja auf allgemeine Judenfeindlichkeit ausgeweitet wird."
    Heute wollen sie weiterfahren - Kurs Gaza. Eine umstrittene Mission, die womöglich in israelischem Gewahrsam enden wird.